Ein verborgenes Leben | Kritik (2024)

Auch in seinem Film über Franz Jägerstätter sucht Terrence Malick nach Spuren des Unendlichen. Ein verborgenes Leben zeichnet den Akt des Widerstands als mühsame Umformung des eigenen Wesens.

Zwei Intensitäten treffen am Anfang von Terrence Malicks Ein verborgenes Leben (A Hidden Life) aufeinander und in diesem Zusammenprall entfaltet sich der ganze moralische Raum, in dem sich der Film bewegt. Ein gemessener, vorsichtig tastender Choral trifft auf Bilder aus Riefenstahls Triumph des Willens – Bilder, die nicht als bloße Ikonen des Grauens in Erscheinung treten, sondern die in ihrer Fremdheit vor allem einen besonderen Rhythmus markieren: den Rhythmus einer endlos vorwärtsdrängenden, ungehemmten Gewalt.

Ein verborgenes Leben konfrontiert in dieser Anfangsszene schlichtweg das Heilige mit dem Zerstörerischen – eine religiöse Emphase, die aber, wie stets bei Malick, eine unbedingt weltliche Grundierung hat. Denn „heilig“ bezieht sich hier auf nichts anderes als auf das Bewusstsein, dass sich gewisse Dinge jedem menschlichen Zugriff entziehen – dass man über die Welt und vor allem über andere Menschen nicht einfach grenzenlos verfügen darf. Vom ersten Moment an ist der Nationalsozialismus somit unmittelbar erfahrbar als die systematische Zurückweisung jeder Ehrfurcht vor dem Fremden, dem Anderen.

Moral als mühsame Arbeit

Die reale Geschichte des Bauern Franz Jägerstätter (August Diehl), der nach seiner Einberufung im Jahr 1943 den Kriegsdienst in der Wehrmacht aus religiösen Gründen verweigerte und deshalb wegen „Wehrkraftzersetzung“ hingerichtet wurde, inszeniert Malick somit nicht eigentlich als Geschichte eines moralischen Konflikts. Denn die Abgründigkeit des Nationalsozialismus ist hier so direkt und umfassend lesbar, dass jede Ausflucht, jede Rechtfertigung, jedes Flüchten in ein Einerseits-Andererseits von vornherein unmöglich scheint. Was geboten ist, das ist nicht nur den moralisch Feinfühligen, sondern ausnahmslos allen klar. Die einzige Frage, die sich stellt, ist die, ob man diesem Gebot gemäß handelt, oder ob man sich bewusst selbst verleugnet. Jägerstätter, das macht Ein verborgenes Leben schnell deutlich, ist zu so einer Selbstverleugnung weder fähig noch willens.

Bei aller Emotionalität hat Ein verborgenes Leben somit vor allem in seinem ersten Teil etwas äußerst Strenges: Jägerstätters Kriegsdienstverweigerung scheint von Anfang an unausweichlich und dennoch beharrt der Film darauf, alle Stationen abzuschreiten, die zu dieser Entscheidung führen: Jägerstätters erste Konfrontation mit den Kriegsschrecken in Form von Wochenschau-Bildern, die vorsichtige Regung des Widerstands, wenn er ein „Heil Hitler!“ mit einem „Pfui Hitler!“ quittiert, oder die langen Gespräche mit seiner Frau Fani (Valerie Pachner), in der sie gemeinsam verschiedene Möglichkeiten erwägen, seine Einberufung zu umgehen.

Diese Abfolge von Ereignissen hat nicht den Zweck, Jägerstätters Entscheidung nachvollziehbar zu machen – die moralische Notwendigkeit ist so eindeutig, dass sie jede zusätzliche psychologische Motivation redundant macht. In ihr soll vielmehr der Widerstand als eine systematische Umformung des eigenen Wesens erfahrbar werden. Das moralisch Richtige zu tun ist in Ein verborgenes Leben mehr als eine einzelne Handlung, es ist eine mühsame Arbeit und erfordert eine beträchtliche Dauer.

Liebe als gemeinsamer Widerstand

So wird auch der Moment der Verweigerung nicht wirklich gezeigt. Jägerstätter hebt den Arm nicht, als alle anderen Rekruten den Eid auf Hitler schwören, und wird in der nächsten Einstellung bereits abgeführt. Mit dieser Verhaftung öffnet sich auch die Struktur von Ein verborgenes Leben: An Stelle der Strenge eines Stationendramas vollzieht sich nun die dynamische Gegenüberstellung zweier Leidenswege. Während Franz auf sein Gerichtsverfahren und auf das unausweichliche Urteil wartet, wird Fani in ihrem Heimatdorf geächtet, beschimpft und mit der harten ländlichen Arbeit allein gelassen. Beide werden zunehmend in die Einsamkeit gedrängt und haben doch gerade in ihrer Einsamkeit Anteil am Schicksal des jeweils anderen.

Hier wird Ein verborgenes Leben auch zu einer Art Liebesgeschichte, doch die Liebe, um die es hier geht, gründet sich nicht auf Gesten der Vertrautheit oder auf einen emotionalen Austausch zwischen zwei klar definierten Individuen, sondern allein auf eine plötzlich sich offenbarende Seelenverwandtschaft, auf das Bewusstsein eines Gleichklangs des Erlebens und des Handelns. Der gemeinsame Widerstand wird hier zum Grundstein einer tiefen inneren Verbundenheit – und die Verbundenheit selbst zu einem Akt des Widerstands.

Der Bergrücken im Hochsicherheitstrakt

Wie so viele von Malicks Filmen ist auch Ein verborgenes Leben geprägt von den offenen Bewegungen des Bewusstseins und von der Suche nach Momenten eines plötzlich aufschimmernden inneren Zusammenhangs der Menschen, der Dinge, des gesamten Kosmos. Doch trotz all der religiösen Anklänge ist Malicks Emphase nicht die der Offenbarung, sondern die der Sehnsucht. Das Ewige, das immer wieder angerufen wird, bleibt nur ein Versprechen, eine Chiffre, ein Bild. Der tröstende Gott, der Jägerstätters mutigen Widerstand beglaubigt: Er ist ein Gebirgsmassiv, das inmitten einer Kamerafahrt durch den Hochsicherheitstrakt plötzlich die Leinwand füllt.

Zu diesen gleitenden Andeutungen der Unendlichkeit gesellt sich bei Malick stets ein Blick wie aus Kinderperspektive: immer aus der Tiefe zu den Menschen aufschauend, immer ein wenig zu langsam, um ihren Bewegungen sofort zu folgen, immer etwas zu nah, um sich einen stabilen Überblick um das gerade Geschehende zu verschaffen. Es ist ein Blick, der einsieht, dass die Welt zu vielgestaltig, zu komplex, zu voll mit Eindrücken und Veränderungen ist, als dass man sie je in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit in sich aufnehmen könnte. Auch der Blick hat in Malick keinen umfassenden Zugriff auf die Welt – auch er weicht stets respektvoll zurück vor einem letzten unergründlichen Rest.

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Author: Kelle Weber

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